© Blessing

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Das Buch:
Über 300 Seiten geballte Informationen: Zahlen, Fakten, Theorien, Forschungsergebnisse, Studien, Trends, Meinungen, Stimmungsbilder, Hintergründe, Historisches …
Das hört sich nach tierisch schwerer Kost an – das Gegenteil ist der Fall: spannende, kritische und trotz des emotionalen Themas sehr sachliche und unvoreingenommene Reportagen, die sehr leichtfüßig daherkommen.

Die Autorin:
Christina Hucklenbroich, ist meine Lieblingsjournalistin und mehrfach ausgezeichnete Wissenschaftsredakteurin. Sie studierte Veterinärmedizin und arbeitet seit 2007 bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Die Akteure:
Für dieses Buch reiste Christina Hucklenbroich durch die Republik und unterhielt sich mit Zoohändlern, Tierschutzaktivisten, Pferdeflüsterern, Hundetrainern, einer Lehrerin, die einer der ersten war, die ihren Hund mit zum Unterricht brachte … und mit Menschen, die ihr Futter für ihr Haustier von der Tiertafel holen müssen … Dazwischen kommen immer wieder Wissenschaftler zu Wort, wie z.B. Norbert Sachser, Verhaltensforscher an der Universität Münster, dem unsere Meerschweinchen ein besseres Leben verdanken. Oder David Blouin, ein junger amerikanischer Soziologe, der bei seinen Forschungen über die Rolle des Haustieres und ihre Menschen zu der Überzeugung gelangt ist: „Menschen sind zwar oft bemüht, ihrem Tier ein ideales, artgerechtes Leben zu bieten. Doch was sie darunter verstehen, das entscheiden sie selbst“.

Der Inhalt: (nur ein kleiner Auszug und meine persönlichen „Favorits“)

  • Was erwarten wir eigentlich heutzutage von unserem Haustier?
  • Von Pet Parents und Furkids – ist die These vom Ersatzkind Mythos oder ein brauchbares Erklärungsmodell?
  • Leergefegte Tierheime in den USA – der Trend geht nicht nur dort zum Rescue Dog
  • Social lubricant – das Tier als soziales Schmiermittel
  • Und warum bevorzugen Frauen mit langen Haaren meist schlappohrige Hunde?
  • Streicheleinheiten – bei wem steigt der Oxytocin-Wert schneller?
  • Warum Kaninchen in der neurologischen Frührehabilitation bei hirngeschädigten Krankenhauspatienten helfen oder warum ein Hund oder ein Lama bei hyperaktiven Kindern erfolgreicher sein kann, als der beste Therapeut?
  • Warum im Gegentrend zu den Tiertafeln der Hartz-IV-Empfänger das Luxussegment nicht nur in Deutschland boomt?

Und warum Scheitern trotzdem so viele der Beziehungen zwischen Mensch und Tier? Warum werden immer noch so viele Tiere ausgesetzt oder schlichtweg „vergessen“? Ein paar mögliche Erklärungen könnten sein:
Die Rolle des Haustieres wird immer von den Menschen definiert. Manchmal findet über die Jahre ein Rollenwechsel statt, wie zum Beispiel beim Kaninchen, das vom Notstandstier zum Wohlstandstier mutiert ist. Manchmal ändert sie sich auch die Beziehung ganz schnell, wenn der süsse Welpe in die Wohnung pinkelt und anschliessend die Jimmy Choos zerkaut. Doch auch Tiere, die klein und bedürfnislos sind, dürfen nicht immer auf ein langes Leben bei  und mit ihrem Menschen hoffen. Leider landen auch alte und kranke Tiere immer öfter im Tierheim. Meist hat keine gute Bindung bestanden oder es mangelte an Empathie. Oft war der Halter vor der Anschaffung einfach zu blauäugig. Aber manchmal ist einfach auch schlicht finanzielle Not der Abgabegrund.

Das letzte Kapitel heißt: Vom Festhalten und Loslassen und handelt davon, dass die Lebenserwartung unserer Haustiere immer mehr steigt. Die Besitzer sind oft nicht vorbereitet auf Demenz, Inkontinenz und hohe Tierarztrechnungen.

Also warum halten sich Menschen Tiere? Tiere helfen mit Stress, Einsamkeit, Krankheiten und den Widrigkeiten des Lebens besser fertig zu werden. Aber vielleicht steckt bei vielen auch die Sehnsucht nach einem eigenen, weniger fremdbestimmten Leben dahinter? Was nach nach Einschränkung (zum Wohle des Tieres) aussieht, kann auch Freiheit sein. Die Freiheit der Begrenzung. Nicht immer wählen zu müssen. In einer Welt der unendlichen Wahlmöglichkeiten kann das Tier auch zum Korrektiv werden.

Christina Hucklenbroich: Das Tier und wir: Einblicke in eine komplexe Freundschaft, 367 Seiten, München: Blessing Verlag, 2014,  ISBN 978-3-89667-520-0, Gebunde Ausgabe: Euro 19,99

Kategorien: Buchtipps

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