Oder: was würde euer Hund heute eigentlich am liebsten tun?
Auslandstierschutz ist ein brisantes Thema und es gibt dazu die unterschiedlichsten Meinungen. Die einen sagen, daß die deutschen Tierheime bereits überfüllt sind und daß die Hunde aus dem Ausland die Chancen zur Vermittlung der hiesigen Hunde verringern. Dann sind da die Tierschützer, die Hunde aus Tötungsstationen oder aus heillos überfüllten Tierheimen retten, um ihnen so ein besseres Leben oder überhaupt das Leben zu schenken … Und dann gibt es wieder andere Tierschützer, die jeden Hund retten möchten, der auch nur irgendwie auf der Straße leben muss. Dazu kommen die furchtbaren und zahlreichen Bilder von misshandelten, verhungerten, aufgehängten, vergifteten und getöteten Hunden, die wir alle kennen.
Genau hier setzt Stefan Kirchhoff mit seinem Buch: „Streuner: Straßenhunde in Europa“ an. Er beleuchtet die andere Seite, von der man eher selten etwas liest und weiß: Wie sich Straßenhunde organisieren, wie sie ihr Leben meistern, was sie so den ganzen Tag über machen (ruhen, gucken, Futter besorgen, manchmal sogar spielen …), wie ihre Überlebensstrategien sind, wie sie versorgt werden oder wie sie vor Ort gehalten werden, weil nur die wenigstens Straßenhunde tatsächlich welche sind.
Doch was genau ist eigentlich ein typischer Straßenhund?
Dieser Frage geht der Autor genauso nach, als auch der, ob es tatsächlich immer die beste Lösung ist, einen Hund von der Straße zu retten, um ihn dann vor Ort in ein meist überfülltes Tierheim zu stecken? Gerade auch dann, wenn seine Chancen zur Vermittlung gleich Null sind. Ganz anders sieht es natürlich bei Hunden aus, die Tierschützer aus Verschlägen retten, in denen sie unter den erbärmlichsten Bedingungen, weggesperrt von der Öffentlichkeit, dahinvegetieren.
Hat „der Streuner“ immer das schlechtere Los gezogen oder würde unser Hund, wenn wir ihn fragen könnten: “Was würdest du heute am liebsten tun?“ vielleicht sogar gerne tauschen und auch ein bisschen streunen gehen?
Sehr interessant und informativ fand ich die Eindrücke und Erzählungen des Autors aus den von ihm bereisten Ländern. Ebenso wie die Hundegeschichten, die sehr berühren, obwohl Stefan Kirchhoff sehr wertfrei schreibt. Und trotzdem klare und konkrete Aussagen macht und dabei mit Vorurteilen aufräumt. Man erfährt warum Kastrationsprojekte, wie „Neuter and Release“ manchmal nicht funktionieren können oder daß es sehr wenige Hunderudel, dafür aber umso mehr lose Gruppenverbände gibt. Gedankenspiele des Autors, wie „Was wäre, wenn es in Deutschland Straßenhunde geben würde?“ regen sehr zum Nachdenken und auch zum Umdenken an.
Ich werde das Buch nicht nur wegen der vielen Fotos „der Streuner“ noch öfters in die Hand nehmen. Sondern weil es ein – bis hin zum Schlusswort – sehr klug und sehr durchdacht geschriebenes Buch ist. Ich bin mir sicher, dass sich nicht nur Menschen, die einem Hund aus dem Ausland ein neues Zuhause gegeben haben, sehr dafür interessieren werden.
Stefan Kirchhoff reiste mit seinem Wohnmobil drei Monate lang durch Griechenland, die Türkei, Bulgarien, Rumänien, Serbien, die Slowakei und Kroatien. Davor war er lange Jahre als Tierpfleger und später als Tierheimleiter im Tierschutz tätig. Der Auslandstierschutz gehörte dabei zu seinem Hauptaufgabengebiet. Außerdem war er stellvertretender Projektleiter des „Tuscany Dog Project“ von Günther Bloch. Nach seiner Rückkehr hat er eine Hundeschule gegründet.
Stefan Kirchhoff: Streuner! Straßenhunde in Europa, Nerdlen/Daun: Kynos Verlag, 2014, 176 Seiten, ISBN 978-3-95464-025-6, Gebundene Ausgabe: € 29,95 [D]
0 Kommentare