Eigentlich lese ich sehr schnell. Manchmal zu schnell. „Will sei Dank“ von Patricia B. McConnell, Autorin des bekannten Hunde-Ratgebers: „Das andere Ende der Leine“, konnte ich nicht schnell lesen. Mehr noch: Ich brauchte Pausen. Dabei ist das Buch spannend und unterhaltsam geschrieben und liest sich sehr flüssig.
Patricia B. McConnell erzählt sehr offen über sehr schlimme Erlebnisse, die ihr Leben prägten, die sie verändert haben und die sie jahrzehntelang erfolgreich verdrängt hatte. So lange bis Will in ihr Leben trat. Ein schreckhafter, von unkontrollierbaren Ängsten erfüllter Border Collie Welpe. Patricia B. McConnell erkennt erst durch Will, dass sie in einem permanenten Panikmodus feststeckt, der sich ín einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) äussert. Ständiger Daueralarm im Kopf. Keine kognitive Kontrolle. Die kleinsten Ereignisse lösen heftige Reaktionen aus. Extreme Reaktionen, die in keinem Verhältnis zur Situation stehen.

Und auch für Will ist die Welt ein gefährlicher Ort. Fremde Hunde sind angsteinflößend, fremde Geräusche auch … Dabei hat Will offensichtlich nichts erlebt, was sein Verhalten erklärt. Nichts was seine Schreckreaktionen rechtfertigt. Hunde können ihre Albträume nicht mit einem Therapeuten besprechen oder ihre Ängste in einem Tagebuch niederschreiben wie wir. Doch auch wir benötigen, trotz dieser Hilfsmittel oft Jahre, um Traumata zu verarbeiten und zu überwinden. Nachdem Patricia B. McConnell bemerkt, dass sie sich und Will gegenseitig hochschaukeln und dadurch sich die Angst des Anderen verstärkt, fängt sie in kleinen Schritten an, sich ihren Traumata zu stellen. Das ist der erste und wichtigste Schritt des ganzen Prozesses. Aber auch der Schwierigste.

Reden kann den Heilungsprozess fördern, um sich von einem Trauma zu erholen. Schreiben auch. Und vielleicht ist es wirklich so, dass durch das wiederholte Erzählen und das permanente Aufschreiben auch ganz schlimme Ereignisse ihre Kraft verlieren. Irgendwann. Und auch Schuldzuweisungen verschwinden. Und sich dadurch sogar die drei berühmten: HÄTTE – KÖNNTE – WENN in Luft auflösen.

Mein Rezensionsexemplar sah nach dem Lesen aus, wie ein Lehrbuch aus der Unibibliothek, kurz vor einer wichtigen Prüfung

Mein Rezensionsexemplar sah nach dem Lesen aus, wie ein Lehrbuch aus der Unibibliothek, kurz vor einer wichtigen Prüfung

Hab‘ niemals Angst davor Angst zu haben
Das bedeutet: sich nicht von der Angst kontrollieren zu lassen. Aber die Angst anzuerkennen wie einen Freund, der es gut mit einem meint.
Patricia B. McConnell hat im Laufe Ihrer Aufarbeitung mit ihrer eigenen Geschichte nicht nur ihre eigene Sicherheit wiedererlangt, sondern damit auch Will geholfen. Durch ständige Wiederholung des gelernten Verhaltens und liebevolle Konditionierung wird er zu einem souveräneren Hund. Sie lehrt ihn, dass er in angstmachenden Situationen Sicherheit gewinnt, wenn er sie anschaut, anstatt hysterisch zu bellen. Dass er die Annäherung fremder Hunde mit etwas Gutem verbindet. Dass er seine Umwelt kontrollieren kann, wenn er sicher bleibt. Doch vermutlich hätte keine Konditionierung der Welt geholfen, wenn sie nicht gleichzeitig die Kontrolle über ihr eigenes Leben wieder erlangt hätte. Und damit Will die Stärke und Sicherheit geben kann, die er dringend braucht.

Jeder bekommt den Hund den er verdient, sagte mal jemand zu mir. Ich würde es lieber so formulieren: Jeder bekommt den Hund, der ihm gut tut. Doch manchmal muss man auf dem Weg zum gemeinsamen Glück auch ein paar Steine mehr aus dem Weg räumen. Und auch als Hundeverhaltenstherapeutin seine eigenen Grenzen erkennen und akzeptieren. Ganz egal wie angreifbar man dadurch wird. Ich habe mich an einigen Stellen des Buches wiedergefunden. Vielleicht benötigte ich deshalb die vielen Pausen. Zum Reflektieren und Nachspüren. Es ist kein einfaches Buch, doch ein Buch das Mut macht und dass es sich zu lesen wirklich lohnt.

Zur Autorin: Dr. Patricia McConnell ist Ethologin und hat zwanzig Jahre lang als Tierverhaltenstherapeutin gearbeitet. Vorrangig mit Hunden, die durch Aggressionsproblematiken auffielen. Sie hat fünfundzwanzig Jahre lang Biologie und die Philosopie der Mensch-Tier-Beziehung an der zoologischen Fakultät der Universität von Wisconsin-Madison gelehrt und hält weltweit Vorträge über Hundeverhalten und Hundetraining. Sie hat elf Bücher verfasst. Unter anderem das in mehr als vierzehn Sprachen übersetzte Buch: „Das andere Ende der Leine“.

© Kynos

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McConell, Patricia B.: Will sei Dank: Memoiren einer Frau mit Hund, 272 Seiten, Nerdlen: Kynos Verlag, 2017, ISBN 978-3-95464-135-2, Euro 19,95

Das Rezensionsexemplar hat mir der Kynos Verlag freundlicherweise zur Verfügung gestellt.


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