„Tür zu, Licht aus … Ich lege mich auf mein Bett und presse die Augen zu, damit ich das nicht vorhandene Betthupferl nicht sehe. Also damit ich nicht sehen muss, dass ich nix hab. Da lieg ich nun, der Hund mit den meisten Paten (…) krank mit Rumpelbauch und ohne Essen, eingesperrt, kann mir nix selber besorgen, ausgeliefert … ich überlege mir, wie lange man das als Hund, der eh viel zu dünn ist, wohl überleben kann. Ich meine, ich habe ja keine Reserven, da geht man schneller tot. Während ich darüber nachdenke, döse ich weg … vermutlich falle ich gerade in ein Hungerkoma.
Gute Nacht euer unterzuckerter Rico“
So endet eine der vielen Sandmännchen-Geschichten vom gut genährten Rico, die Kirstin Höfer, Tierheimleiterin in Koblenz, seine allerbeste Freundin und Ghostwriterin auf Rico Koblenz Facebook-Seite postete. Aus einer witzigen Idee heraus und auch um auf unkonventionelle und charmante Art Spenden fürs Tierheim zu sammeln. Ricos Seite war so erfolgreich, dass aus den regelmäßig in unregelmäßigen Abständen erschienen Posts jetzt ein Buch entstanden ist.
Rico, der Schattenhund, war 7 Jahre alt, als Kirstin Höfer die Leitung des Koblenzer Tierheims übernahm. Rico hatte fast sein ganzes Leben dort verbracht. Ein großer schwarzer Riesenschnauzer-Rottweiler-Mix. Bissig. Schwierig. Von vielen Menschen missverstanden. Nicht vermittelbar. Nach einer Weile freundeten sie sich an. Es gab noch ein paar Vermittlungsversuche, die scheiterten und die Kirstin Höfer zeigten, dass Rico nicht mehr weg wollte. Er wollte bleiben. Als dienstältester Tierheimchef. Er hatte sich eingerichtet, hatte seine Stamm-Gassi-Geher (Lutz und Onkel Strauß), die all die Jahre pünktlich auf die Minute erschienen und bei denen er bestimmten durfte, wo es lang geht. In seinem Umfeld war er ein souveräner Hund, einer der die Hundesprache perfekt beherrschte. Einer der oft für Kirstin Höfer andere Hunde „las“. Rico, der ihr Freund wurde und bester Berater. Fast jeden Abend besuchte sie ihn in seiner „Butze“ und ganz selten gab es kein Betthupferl für Rico (s.o.). Abends erzählten sie sich dann ihre Erlebnisse. Es gab ganz viele lustige Geschichten, aber leider auch ganz viele traurige Momente in den zwei Jahren, die sie zusammen verbringen durften. Ich habe selten während des Lesens eines einzigen Satzes gleichzeitig gelacht und geheult.
Das Buch gibt einen sehr besonderen, sehr individueller Einblick in den Tierheim-Alltag. So viel passiert, zwischen Ricos chronischer Ohrenentzündung und den Aufregungen um die Konzeption des Tierheim Neubaus. Zwischen Glücksmomenten auf umliegenden Wiesen, einem gespendeten See fürs neue Tierheim und dem Konflikt zwischen dem Vorstand des Tierschutzvereins und der Tierheimleitung kurz vor Ricos Tod. Mit Ricos Tod enden dann auch die Sandmännchen-Geschichten. Zumindest so lange, bis es einen würdigen Nachfolger gibt.
Doch bis dahin schreibt Kirstin Höfer im Vorwort:
„Ich habe viel von dir gelernt und „Rico, du fehlst mir jeden Tag!“
Noch ein paar Sätze zu Ricos Ghostwriterin …
Kirstin Höfer, Jahrgang 1964, ist eine der dienstältesten Tierheimleiterinnen in Deutschland. Sie war lange Jahre Tierheimleiterin in Darmstadt und leitet jetzt das Tierheim Koblenz. In beiden Städten war sie maßgeblich an der Konzeption des Neubaus der Tierheime beteiligt. Das Autorenhonorar für dieses Buch geht an den Tierschutzverein Koblenz.
… und zu Rico:
Wie Rico gibt es in jedem Tierheim einen oder mehrere Schattenhunde, die ihr Leben im Tierheim verbringen (müssen). Manchmal finden sich Menschen, die bereit und vor allem in der Lage sind, einem schwierigen Hund ein neues Zuhause zu geben, doch oft bleiben diese Hunde für immer dort. Das hört sich hart an, doch ein gutes Tierheim ist sicher nicht der schlechteste Ort, wie Ricos Geschichte zeigt. Dennoch verdient jeder Tierheimhund eine Chance. Oder auch zwei.
Höfer, Kirstin: Chefsachen: Rico, ein Leben als Schattenhund im Tierheim, Hamburg: tredition, 2016, 348 Seiten, ISBN 978-3-7345-0089-3, Euro 17,99 (gibt’s auch als Hardcover und ebook)
Dieses sehr besondere Buch hat mir der trediton Verlag als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.
1 Kommentar
Renate Roll · 25. Mai 2022 um 20:38
Als ich das Buch las,habe ich gelacht, aber auch sehr viel geheult.Ich hatte das Glück auch so einen Seelenhund als Freund zu haben.Es ist ein großartiges Buch.Ich verbeugen mich vor dem gesamten Team des Tierheim Koblenz.Danke